30. September
bis
2. Oktober 2019
in Berlin

Hintergrund: Konversion – Ein Kraftakt für Generationen

Die Teilnehmenden des „History SummerCamps 2016“ haben sich auch mit der Frage beschäftigt, inwieweit die Umnutzung von ehemaligen militärischen Flächen eine Aufgabe von Generationen ist. Der folgende Artikel erschien zuerst auf dem Blog verlassene-kasernen.de. Die Autorin des Artikels ist Marion Bacher.

Es zahlt sich aus für etwas zu kämpfen: 17 Jahre lang (ab 1992) haben Bürger_innen gegen eine militärische Nutzung der Kyritz-Ruppiner Heide im Norden Brandenburgs demonstriert – und gesiegt. Bis heute geht die Umwandlung der Heide aber nur schleppend voran. 

Die Erleichterung stand vielen ins Gesicht geschrieben: Nach jahrzehntelangen Bombardier- und Panzerübungen in der Kyritz-Ruppiner Heide zogen die sowjetischen Truppen 1994 endgültig ab. Jetzt sei es nur eine Frage der Zeit, bis die etwa 1,5 Millionen Granaten, Bomben und Blindgänger aus den Böden gegraben würden, bis die Schilder „Betreten verboten! Lebensgefahr“ abmontiert werden könnten, bis die Brandenburger und Mecklenburger endlich ihr Naherholungsgebiet für sich haben würden und das sogenannte Bombodrom Geschichte wäre.

Doch die Ruhe war den Leuten nicht vergönnt. Zwei Jahre zuvor, am 30. Juni 1992, beschloss die Bundesregierung die Kyritz-Ruppiner Heide, eine der größten Heide-Landschaften Europas, militärisch weiter zu nutzen. „Wenn das wahr wird, dann war der Krach der Russen dagegen nur Sommertheater“, sagte ein Anrainer 1994 der Berliner Zeitung. Die Idee war, auf einer Fläche von 14.000 Hektar (eine Fläche so groß wie etwa 14.000 Fußballfelder) 1.700 Stunden pro Jahr zu Übungszwecken zu fliegen. In Wittstock sollte zudem eine rund 800 Menschen starke Garnison entstehen. Schließlich wollte  die Bundeswehr die zwei kleineren Übungsplätze bei Nordhorn und Siegenburg entlasten.

 

Langer Atem bei Bürger_innenprotesten

Das rief tausende Menschen auf den Plan. „Mir war damals schon bewusst, dass es wirklich zäh werden wird“, sagt Roland Vogt, Aktivist der ersten Stunde und Gründer der Bürgerinitiative „Freie Heide“. Jahrelang demonstrierte die örtliche Bevölkerung Hand in Hand mit antimilitaristischen Gruppierungen, Unternehmer_innen aus der Tourismusbranche und Politiker_innen. Alle relevanten Landesparteien unterstützten den Widerstand gegen das Bombodrom – selbst Bundespolitiker_innen beteiligten sich an dem Protest. Einer der Höhepunkte war 2009 der Ostermarsch in der Kyritz-Ruppiner Heide, bei dem mehr als 10.000 Besucher_innen vor Ort waren. Parallel dazu gab es ständige juristische Auseinandersetzungen – insgesamt 27 Prozesse wurden vor Gericht geführt und gewonnen.

Der „lange Marsch“ hat sich aber gelohnt: Die Bundesregierung gab auf, im Juli 2009 erklärte sie, dass das Bombodrom nicht weiter militärisch genutzt werden sollte. „Auch ohne den Truppenübungsplatz in Wittstock gibt es genug Kapazitäten für die Bundeswehr“, hieß es aus dem Verteidigungsministerium. Was für ein Freudentag für die Protestierenden!

 

Jetzt fängt die Arbeit erst so richtig an

Auf die Euphorie folgte aber bald die Ernüchterung: Zwischen 200 und 600 Millionen Euro soll die Räumung der Heide je nach Schätzungen kosten – damit man dort auch ohne Angst wandern kann. „Es ist eine Schande, dass die Leute, die jahrelang gelitten haben, jetzt wieder vor dem Sperrgebiet stehen“, sagt der 73-jährige Aktivist Roland Vogt. An der einstigen Energie anzuknüpfen, ist jedoch schwierig. Die Bürgerinitiative „Freie Heide“ wurde nach dem Erfolg aufgelöst, der Strukturwandel in den ländlichen Gebieten führt zu Nachwuchsmangel. „Diejenigen, die so sehr gekämpft haben, sind jetzt alt und müde und das junge Volk ist weg“, sagte die Freie-Heide-Aktivistin Renate Schüler der Märkischen Oderzeitung.

Dass das militärische Erbe jedoch auch eine Aufgabe der nächsten Generationen ist, zeigen die Tonnen von Altlasten, die in den Böden schlummern. Immer wieder sterben Tiere, weil scharfe Munition explodiert. Es wird wohl noch einiges an Engagement, Zeit und Geld brauchen, bis wir unbeschwert durch das Wald- und Heidegebiet wandern können.

Zahlen und Fakten

Insgesamt 100.000 Hektar Land lag in Brandenburg brach, nachdem 1994 die (ehemaligen) sowjetischen Streitkräfte abgezogen waren. Diese Flächen wurden damals vom Bund an das Land Brandenburg übertragen. Brandenburg hat mit finanzieller Unterstützung vom Bund und der Europäischen Union dafür gesorgt, dass militärische Altlasten aus Böden und Grundwasser entfernt wurden: 220.000 Tonnen Boden wurde in Folge saniert, 2,5 Millionen Liter Kerosin aus dem Grundwasser abgesaugt, 320.000 Tonnen gefährliche Abfälle entsorgt. Heute können deshalb rund 93 Prozent der Flächen zivil genutzt werden – beispielsweise sind dort Museen, Hochschulen, Wohnungen oder schlichtweg Natur- und Landschaftsschutzgebiete entstanden.

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